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Der Mythos vom „story-driven game“

Ich sitze in Athen – Mythos gewordene Stadt, Stadt gewordener Mythos, wie auch immer – um morgen im hiesigen Goethe-Institut einen Game Jam beim Thema „Interactive Storytelling“ in Verwirrung zu stürzen – und gleichzeitig bezeichnet ein von mir gebacktes Kickstarter-Game sich selbst als „a story-driven exploration adventure“.

Manchmal kommt halt einiges zusammen beim Thema Storytelling, und man muss mal ein paar Sachen loswerden. Das hier ist so eine davon: Es gibt nämlich keine „story-driven games“. Bzw. gibt es sie, aber es sollte sie eigentlich nicht geben. Genauso wie es Tourismus nicht geben sollte, aber Reisende. Und das hängt zusammen. Wie, das werde ich jetzt erklären.

Der Begriff „story-driven game“ meint entweder irgendeinen hanebüchenen Marketing-Unfug – oder er bedeutet etwas, das per definitionem eine der zentralen Eigenschaften eines Games beschädigt und versklavt. Die Erkenntnis ist mir nicht neu, war mir aber lange nicht wichtig genug, um mich der Mühe eines Blog-Eintrags zu unterziehen. Ein Fehler.

Über Leute, die ihr Auto lieber schieben als fahren …

Denn ich bin nicht nur in Athen, sondern in Lost Ember investiert, und für den Fall, dass die Mädels von Mooneye Studios ihre Eigenwerbung für mehr als bloßen Marketing-Quatsch halten, habe ich das Recht und eigentlich auch die Pflicht, sie vor möglicherweise für die Qualität ihres Games fatalen Folgen zu warnen. Und diese Warnung gilt nicht nur für dieses Game, sondern allgemein, und sei deshalb in diesen Blog hineingeschrien: MAN KANN EIN GAME MIT DER STORY GENAUSO GUT ANTREIBEN WIE EINEN AUTOMOTOR, INDEM MAN AN DEN RÄDERN DREHT!

Kurz: Es ist möglich, aber dämlich. Um das zu erläutern, müssen wir uns ein wenig mit der Frage beschäftigen, was Story bzw. Game ontologisch sind, und warum deshalb das zweite das erste antreiben kann, kaum aber das erste das zweite. Man kann also eine „game-driven story“ erzählen oder meinetwegen auch, wenn’s in der Feature-Liste besser kommt, einen „game-driven myth“. Für Menschen mit dem albernen Hang dazu, Wörtern Bedeutung beizumessen, wird diese Liste dann deutlich erträglicher bei der Lektüre. Vielen Dank dafür im Voraus. Ich bin auch nicht der Meinung, dass die sprachliche Verhunzung, die mit Marketing-Bullshit allgemein einhergeht, gesellschaftlich akzeptabel sein sollte oder auch nur ungefährlich wäre. Aber das ist das Thema eines Sermons (so nannte man vor der Anglifizierung einen Rant), den ich mir für später aufhebe.

Worum es tatsächlich geht: Bessere Games und bessere Game-Storys. Um in der Kfz-Metaphorik zu bleiben: Man KANN ein Auto anschieben, und manche schaffen das sogar mit eingelegtem Gang. Aber es macht keinen Spaß, und gut fürs Auto ist es auch nicht.

Die Ontologie von Story und Game weist beide als Medien aus, welche dem Rezipienten die Möglichkeit einer Erfahrung liefern. Erfahrung erfordert nach Kant a priori die Kategorien von Zeit und Raum, um sie überhaupt denken zu können. Zeit und Raum sind aber ebenfalls auch ontologische Kategorien der Erzählung, die unstreitbar selbst eine Erfahrung liefert, genauso wie jede Bewegung in Zeit und Raum erzählt werden kann. Beide, Game und Story, sind also erzählende Medien, auch, wenn die Erzählung, die ein Game erzeugt, abstrakt bleiben kann und sich nur durch die Reihenfolge der Spannungs- und Konfliktmomente in Spiel-Raum und -Zeit beispielsweise einer Tetrispartie ergibt.

Die Re-Ontologisierung der Begriffe Game und Story

Während allerdings die Story eine Erzählung startet, die vorher festgelegt wurde in allen ihren Wendungen und ihrem gesamten Verhalten, eine Erzählung, die linear verläuft, damit der Rezipient Raum und Zeit erfährt aus der Perspektive von vorher in Reihenfolge und Timing vom Autor exakt und bewusst festgelegten Punkten, verhält sich das Game wesentlich weniger autoritär. Zwar setzt es auch Regeln, aber diese erschaffen ja erst genau jenen Raum und jene Zeit, in denen die Spielerfahrung gemacht werden soll. Sie führen a priori nicht auch an der Hundeleine hindurch. Dass viele zeitgenössische Games einen argen Hang zur kurzen Leine haben, liegt sicher an einem hohen Marktanteil von „entertain me“-Kunden sowie einem zu verbreiteten Willen bei manchen Designern, ihre Kunden für blöd zu halten.

Aber es liegt auch an dieser Konzeption, dass eine Story im Game irgendwie durchgedrückt werden muss, egal, ob der Spieler dazu gerade überhaupt Lust hat. Natürlich würde jeder Game Designer diese Anmutung weit von sich weisen. Aber das ist Selbstbetrug, denn faktisch ist es das, was in vielen Spielen auch geschieht. Und entweder ist es genau das, was der Begriff „story-driven game“ bedeutet, oder Wörter haben – siehe oben – keine Bedeutung mehr.

Wenn ich allerdings kein Begriffs-Zyniker bin, dann muss ich anerkennen, dass genau in dem Moment, in dem die Story das Spiel zu seinem Werkzeug macht (in erster Linie weil, schöne Dialektik, in den 80er und 90er Jahren die Game-Story zum Marketing-Werkzeug des Spiels degradiert wurde), die Perversion des Begriffs „Game“ beginnt. Denn zunächst spanne ich per Regelset einen Möglichkeitenraum und eine zu ihm passende Zeit auf, setze den Spieler hinein, um den zu erforschen und zu erfahren – und nehme ihm anschließend die Freiheit, die ihm das Spiel sui generis erlaubt, wieder weg aus Angst, ihm könne da etwas Unangenehmes zustoßen (wie z.B. Langeweile) und er in der Folge auf den „Exit Game“ Button drücken. Das Wesen des Spiels wird aufgehoben und – die zweite Perversion – die Story selbst der ihrer Kunstform innewohnenden Freiheit beraubt, weil sie zum Sklaventreiberwerkzeug eines letzten Endes auf Vermarktbarkeit gerichteten Designziels uminstrumentalisiert wird: „Game ging so, aber ich wollte halt wissen, wie die Story ausgeht.“ Die Re-Ontologisierung der Begriffe „Game“ und „Story“ ist perfekt und beide unter die Knute einer eingebildeten, besseren Vermarktbarkeit gezwungen. Warum die eingebildet ist? Dazu komme ich unten. Vorher sei mir die Frage erlaubt: Warum haben die Entwickler nicht einfach ein Buch geschrieben? Oder, horribile dictu, das Game besser gemacht, damit es die Story nicht brauchte?

Design-Parameter aus der Marketing-Hölle

Eine Einschränkung der Freiheit also, die im politischen Raum einen Kategorie 5- Shitstorm nach sich zöge, wird in der Kunstform Game nicht nur akzeptiert, sondern sogar noch als cooles Feature angepreist: „Seht her! Ist das nicht ’ne geile Knute?“ Irgendwelche Marketing-Cleverles haben sich da mal einen netten Claim ausgedacht, mit dem sie Käufer ziehen können, und wir Designer haben nichts Besseres zu tun, als den Begriff unbesehen nachzubeten, dumm genug zu glauben, er habe irgendwas mit der Verhinderung der ludo-narrativen Dissonanz oder anderer Probleme zu tun, die mit dem Erzählen in Spielen einhergehen. Die Lösung der Probleme einer Demokratie liegen allerdings nicht in einer Diktatur, sondern in der Verbesserung ihrer sie konstituierenden Regeln. Diesen Hinweis darf man nach dem 9.11.2016 ruhig auch wörtlich nehmen, er ist hier aber vor allem bildlich gemeint.

Das Game als nicht-autoritäre, liberale, demokratische, auf gewissen Gebieten sogar anarchische Kunstform tut sich jedenfalls keinen Gefallen, wenn es sich dem Diktat der Story unterwirft. Es sollte sich – und damit die Story – befreien. Dies heißt nicht, dass eine sauber konstruierte Hintergrundstory dem Game nicht helfen kann, sein Erfahrungs-Potenzial dem Spieler zugänglicher zu machen oder es sogar zu erweitern. Aber dies funktioniert halt nur, wenn sich die Story als Unterstützerin des Spiels versteht – und nicht sich selbst zum Ziel des Designs macht.

Aber, werden jetzt einige einwenden, das Spiel muss doch auch gut verkaufen!

Und das führt mich zum eingebildeten Marketing-Tool „Story“ zurück – und nach Athen, eine Stadt, die zu einem guten Teil von Touristen finanziert wird. Eine Stadt, deren strukturellen Probleme unübersehbar sind: kaputte Straßen und verfallende Gebäude erzählen von akuter Geldnot und vergangenen, besseren Zeiten. Sie erzählen von einer Stadt mit 6 Millionen Einwohnern, die vor etwa 2500 Jahren die Wiege unserer Zivilisation war. Diese Stadt ist ein faszinierender Raum von Möglichkeiten und sehr langer Zeit, und ihre Geschichte ist noch lange nicht zu Ende erzählt.

Wider den Game-Tourismus!

Wer mir das Marketing-Genie nennen kann, der sich einst vor 2500 Jahren das mit der Zivilisation ausgedacht hat, um die Stadt bis heute durch Touristen am Leben zu halten, der hat mich widerlegt. Aber ich würde solange bestreiten, dass es Solon um Tourismus ging, bis mir einer gegenteilige Nachweise liefert. Es sind die Geschichten, die diese Stadt aus ihrem Möglichkeitenraum heraus erzählt hat, welche Touristen anzieht. Und eben – bis heute – Reisende.

Der Unterschied zwischen den beiden? Der erste ist ein Spieler in einem „story-driven game“. Der zweite in einer „game-driven story“. Und er lässt sich auch als Rezipient vom Game und seinen Möglichkeiten treiben. Und nicht von der Story. Oder – im Falle Athen ist der Plural sehr angebracht – den Storys. Die sind für Touristen. Die werden in Bussen genau festgelegte Routen entlaggekarrt und kriegen genau das zu sehen, was sich am besten verkauft.

Reisende gehen zu Fuß, schauen selbst, und bleiben meist auch länger um herauszufinden, wie ein Ort funktioniert. Wir sollten Reisende in unsere Spiele holen. Das muss unser höchstes Designziel sein. Und alles, was ein Game für Reisende interessanter macht, das wird dann am Ende schon die Geschichten erzählen, die Touristen so anziehend finden. Die kommen dann von alleine.

8 thoughts on “Der Mythos vom „story-driven game“

  1. Ich stimme voll zu. Leider werden die am meisten verbreiteten Spiele von großen Konzernen produziert. Und diese wollen Geld verdienen. Viel Geld. Da müsste man einem CEO klar machen warum seinen Gamedesigner andere Spiele machen sollten. Und wie er damit Geld verdienen. Und man müsste das Publikum umgewöhnen. Aktuell „wollen“ leider zu viele die Bustouren.
    Das ist eine Katze die sich in den Schwanz beißt.

    Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass der Begriff Spiel/Game überfrachtet ist bzw. ihm zu viele verschiedene Bedeutungen zugeschrieben werden.
    Hier überlege ich mir ob nicht weitere Begriffe hilfreich wären. Den Begriff „interaktiver Film“ (z.B. HeavyRain) gibt es ja schon. Mir fiele noch das „Filmspiel“ ein, ein Spiel in der Machart eines Filmes, es erzählt filmartig eine Geschichte. Oder „Erzählspiel“.
    Für „echte“ Spiele nach unserem Verständnis z.B. „Mechanikspiele“ (ich weiß nichts besseres als Mechanik, aber das klingt mir noch zu „hölzern“).
    So in wie man beim Film zwischen Genre und Art unterscheidet (https://de.wikipedia.org/wiki/Filmgenre#Abgrenzung_gegen.C3.BCber_anderen_Filmgattungen_und_Stilrichtungen).

  2. Mal wieder scharf beobachtet und großartig auf den Punkt gebracht. 🙂

    Leider gehen immer noch viel zu viele – insbesondere große – Produktionen eher in Richtung Hollywood als Game. Das ist für die Masse leichter zu verdauen. Populismus quasi.

    Ich hatte vor einer Weile schonmal für die Richtung „dynamisches bzw. sandbox Storytelling“ argumentiert: http://www.gamersglobal.de/user-artikel/spiele-als-geschichtenerzaehlendes-medium

    Da gibt es dann auch nochmal Abstufungen zwischen Spielen, die ihre Handlung eher aus vorgefertigten Versatzstücken zusammensetzen (80 Days), voll auf Fantasy-Sandkasten setzen (Dwarf Fortress) oder eben beides mischen (King of Dragon Pass).

    Grundsätzlich schlägt das aber in genau die gleiche Kerbe wie dein Beitrag: Mehr Spiel, weniger Hundeleine.

  3. Wieso diese überaus steife und mit der Realität nicht übereinstimmende Betrachtungsweise auf Games? Sehen wir uns mal Black Stories an, eines meiner Lieblingsspiele. Es geht darum eine Story aufzudecken durch geschicktes Fragen – also story driven. Geiles Spiel, feste Story, ziemlich freie Art und Weise zu spielen. Warum kein Computerspiel machen, das so funktioniert? Da fühlen sich halt jetzt ein paar Leute auf den Schlips getreten, die das Wort „games“ für sich gepachtet haben. Die Wahrheit ist doch aber, dass nicht nur das Wort unglaublich viel älter ist, als jedes Computerspiel, sondern es vor allem Spiele gibt, die unendliche Möglichkeiten der Selbstentfaltung bieten und manche reduzieren sich halt darauf auf einem Seil zu balancieren und abzuwarten, wer als erstes herunter fällt. Und Computerspiele sind eben hochgradig multimodale Spiele, die sich nicht dadurch als Spiele definieren, dass sie alle ein ähnliches Ziel verfolgen, sondern eben durch das Erlebnis, also den plot, die Handlung quasi, welches sich durch das Zutun des Spielers auszeichnet. Hier muss ein spielerisches Element hinzukommen, der Spieler eingebunden sein in die Entfaltung dieser Handlung. Dass der Spieler dennoch vielleicht nur Erfüllungsgehilfe einer vorgefertigten Story ist, die unabänderlich ist, haben wir ja nicht nur bei so genannten story-driven games, sondern bei den meisten Spielen. Ob man nun die Prinzessin bei Super Mario retten muss, oder die Ursache des Verschwindens der Schwester bei Gone Home aufdecken muss. Ersteres wird man nicht als story-driven bezeichnen, weil die story eben keine entscheidende Rolle in der Diegese einnimmt. Doch bei letzterem passt story-driven schon, da es ja gerade die Aufgabe des Rezipienten ist eben diese Geschichte aufzudecken – es also der Antriebsmotor ist, der den Spieler weitergehen lässt. Aber dennoch haben beide Spiele gemeinsam, dass es eben nicht in erster Linie um die Story geht, warum man spielt, da könnte man sich ja Zusammenfassungen zu durchlesen, sondern es geht um das Erleben selbst, das „Wie“ man eine Story entdeckt. Die Bezeichnung „story-driven“ verneint das nicht. Für Telltale games mag die Bezeichnung game-driven story tatsächlich passender sein, aber für Spiele wie Lost Ember, Gone Home, Everybody’s gone to the rapture etc. in denen es nicht darum geht eine Story zu beeinflussen, sondern wie Memory oder Black Stories auf individuelle Weise aufzudecken – da passt die Bezeichnung story-driven doch hervorragend und versklavt oder beschädigt nichts an dem Begriff „game“.

    1. Sie dürfen nicht Steifheit mit Genauigkeit verwechseln – und eine andere und durchaus begründbare Meinung nicht sofort unter den Verdacht stellen, mit der Realität nichts zu tun zu haben. So etwas beendet normalerweise sofort jeden Diskurs. Wenn es Ihnen darum geht, dann bitte nicht in diesem Blog.

      Sie reden von einem story-driven player, nicht von story-driven games. Ein Autofahrer mag fahren, weil ihm die Strecke gefällt – oder der Ankunftsort. Oder beides. Aber das sagt nichts über den Antrieb des Wagens aus.

      Und die Frage nach dem Warum von Genauigkeit: Es geht mir um exakte Ontologie von Begriffen, nicht um Wertung. Es geht darum, dass wir uns über Games und andere interaktive Formen korrekt unterhalten können, damit wir lernen bessere Games oder interaktive Storys zu machen. Es geht gar nicht darum zu behaupten, dass Adventure keinen Spaß machen können. Es geht um die Frage, ob es korrekt und/oder hilfreich ist, sie als „Games“ zu bezeichnen – oder nicht doch lieber als „interaktive Story“. Weil man so ihre Natur besser begreift, ihre Funktion – und also so auch einen besseren Zugriff auf die Form gewinnt, die man ihnen geben kann.

      Wobei mich auf einer ganz anderen Ebene die Frage beschäftigt, warum sich so viele Leute auf den Schlips getreten fühlen, bloß weil eines der Medien, mit denen sie sich beschäftigen, in den Game Studies dann nicht mehr als „Game“ kategorisiert wird, sondern aus vielleicht guten Gründen einen anderen Namen kriegt.

      1. Ob Ihre Meinung mit der Realität „zutun“ hat, darüber lässt sich natürlich nicht streiten. Nur mit ihr „zutun haben“ würde mir wissenschaftlich noch lange nicht ausreichen. Ich werde noch darlegen, warum eine Ontologie des Begriffs Game qua Definition nicht die Realität abzubilden vermag.

        Nun kommen Sie bei Ihrem story-driven Spieler auf eine ganz andere Seite der Medaille – der Rezeption. Sie haben bisher die Produktseite von Games bei Ihrer Kritik des Begriffes nicht verlassen, deshalb würde ich es nun auch lieber nicht tun. Jenseitig davon, wie ein Spieler letztendlich ein Spiel spielt, werden die Entwickler festlegen müssen, welche Erfahrungen der Spieler während des Spielens machen kann. Und wenn man die Erfahrung einer Story in den Vordergrund stellt, dann ist das erst einmal nur eine Entscheidung der Entwickler – und impliziert noch kein rezeptionsanalytisches Resultat. Also bitte klare Trennung dieser beiden Ebenen, sonst kommen wir wissenschaftlich auch bei den Game Studies nicht weit – sie würden entweder dem Rezipienten oder den Produzenten, vermutlich beiden, unrecht tun. Oder, um in der Metapher zu bleiben, ohne dass sich der Entwickler des Autos Gedanken darüber gemacht hat, wie sein Auto zu fahren sei und warum, geht es nicht. Dass es dann plötzlich ‚User‘ gibt, die das Auto ganz anders nutzen, ist eine andere Fragestellung.

        Ich würde an Ihrer Stelle auch den Begriff Ontologie nicht überstrapazieren. Man kann zwar ontologisch fragen, was Spielen ist, da es etwas sehr grundlegendes ist, dass die Annahme sie sei eine Grundkonstante unserer Realität Sinn ergibt, genauso wie „Was ist Sprache?“, etc. aber die Abgrenzung von Games zu anderen Formen des Spielens wie Theater, Film, etc. ist erst einmal nur gesetzt – klar zu trennen waren diese Formen des Spielerischen nie. Was ein Game ist und was nicht, ist eine Definitionsfrage, keine ontologische und wer glaubt, das sei das gleiche, sollte sich noch mal damit beschäftigen – das sieht man ja schon daran, welchen Nutzen Sie sich von einer Abgrenzung zwischen jenen games und solchen games erhoffen – nämlich bessere Spiele zu machen. Games nicht nur definieren zu wollen und die Definition immer wieder zu verbessern und an der Realität zu prüfen, sondern den umgekehrten Weg zu gehen, also eine bestimmte Definition von game zu nehmen und zu sagen, so und nur so darf ein richtiges game sein – das ist totalitär. Sie haben ja auch einen Ausflug gemacht in die gesellschaftspolitische Sphäre – also mache auch ich ihn – es wäre der gleiche Fehler wie er in bestimmten Gesellschaften (gerade wir Deutschen sollten uns damit auskennen) immer wieder gemacht wurde, nämlich dass es eine im Wesen begründete Norm gibt, wie etwas oder jemand sein müsse – z.B. ein Bürger habe so zu sein, sonst ist er kein Bürger, oder (extremer) ein Mensch habe so zu sein, sonst ist er kein Mensch. Ontologisierung ist ein Konstrukt der Dogmatik, die Wissenschaft ist tendenziell De-ontologisierend, bzw. auf der Suche nach der wahren Ontologie, dem wahren Sein des Seins. Der Begriff darf dabei aber nie dem Wesen voraus gehen (das wäre Religion). Ontologisierung ist eben paradoxer Weise genau das Gegenteil von dem, was Ontologie eigentlich versucht – nämlich etwas über das Seiende durch das Seiende herauszufinden – jenseits von Begriffen und unseren reinen Vorstellungen darüber. Es wundert mich überhaupt sehr, dass jemand ausgerechnet Kant zitiert, wenn er dann anfängt das zu machen, was Kant zeitlebens abgelehnt hat – und dies eben gerade durch die Erkenntnisse a priori, die nur sehr beschränkt möglich seien, begründet.

        So, da ich jetzt dargelegt habe, warum eine Ontologie von Begriffen das Bestreben von Wissenschaft Realität zu erkennen ad absurdum führt, brauche ich, denke ich, auch nicht groß auszuführen, warum ich davon ausgehe, dass eine solche Ontologisierung auch dem Bestreben bessere Spiele zu machen, nicht dienlich ist. Sie ist qua Definition ein Werkzeug der Unfreiheit. Und von der Produktseite her finde ich eine Forderung alla ‚Wir dürfen jetzt nur noch Spiele machen, die Spielern maximale Freiheit im Spiel garantieren‘ für genauso unfrei. Übrigens ist exakte Ontologie immer Wertung, es ergibt sich daraus ja, dass möglicherweise etwas gar nicht das ist, was es vorgibt zu sein.

        Nun haben Sie ja final doch noch erläutert, was sie eigentlich antreibt – nämlich keine Ontologisierung, sondern eine Kategorisierung – und in diesem Punkt stimme ich Ihnen zu. Es kann durchaus sinnvoll sein, Spiele entsprechend Mechaniken, Genres, etc. zu kategorisieren und vielleicht sogar einigen Spielen die Bezeichnung „Spiel“ zu entziehen. Aus einem ganz anderen Anliegen heraus würde ich mich tatsächlich auch lieber von dem Begriff „game“ als Bezeichnung des gesamten Mediums ‚Computergestützte Spiele, Stories etc.‘ trennen und ihn austauschen. Genauso, wie Film und Buch Medien sind, die ganz unterschiedliche Gattungen hervorgebracht haben (Dokumentation, Spielfilm, Roman, Sachbuch, etc.) würde ich es auch für praktischer erachten einen neutraleren Überbegriff zu wählen für das Medium, welcher nicht gleich das „daddeln“ mit impliziert. Von einem Überbegriff für Computergestützte Games, Storys o.ä. würde ich mich allerdings ungern entfernen, da sie von der Produktseite, aber auch von der Rezipientenseite vieles gemeinsam haben (egal ob man jetzt ein game zockt oder einen interaktiven Roman durchlebt wird man es über einen Computer, ein Gamepad, eine VR-Brille o.ä. erleben). Wir beschäftigen uns in der Literaturwissenschaft ja auch nicht nur mit Romanen, sondern auch mit Dramen, Sachliteratur, experimentellen Gattungen (man erinnere sich an die schrecklichen interaktiven Romane, in denen man immer hin und her blättern musste). Eine Einengung auf nur eine dieser Gattungen – dann zu sagen, nur das ist Literatur – das wäre ein ziemlicher Verlust für sowohl Wissenschaft, als auch Literatur – und im Endeffekt vor allem für die Rezipienten.

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