In einer Mail an die Mitglieder, die im Vorfeld der Berlin Games Week verschickt worden war, beklagte der GAME Bundesverband Unregelmäßigkeiten bei der Stimmauszählung für den Deutschen Computerspielpreis DCP. Man werde versuchen, die Sache noch zu klären, bislang sei das aber nicht gelungen, und im Zweifel sähe man sich gezwungen, die Verleihung von Preisen in drei umstrittenen Kategorien als Mitveranstalter nicht mitzutragen.
Während der Quo Vadis bekam man dann durchaus mit, dass da hinter den Kulissen noch um eine Lösung gerungen wurde – mit bekanntem Ergebnis. Man wurde sich nicht einig, und Mimimi sah sich gezwungen, den Preis für bestes Game Design abzulehnen. Der Skandal war komplett. Die Beteiligten Parteien hatten ein game of Chicken gespielt – und am Ende hat die Branche verloren.
Ich gehe einmal davon aus, dass der GAME nicht einfach so an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe produziert. Bei Sichtung der Protokolle, berichtet der Vorsitzende Stefan Marcinek in einer Email, sei bei den meisten Kategorien eine Diskrepanz bei der Zahl der abgegebenen und der dann gezählten Stimmen aufgefallen. Oft lag diese Diskrepanz unterhalb der Grenze, ab der sie das Endergebnis hätte ändern können. Aber in drei Kategorien hätte das Ergebnis bei Zählung aller Stimmen auch anders ausfallen können.
Jede Klassensprecherwahl scheint rechtssicherer zu verlaufen als die zum Besten Spiel beim DCP
Dem Antrag auf Neuabstimmung wurde per Mehrheitsbeschluss der Jury nicht stattgegeben. Was zumindest die Frage aufwirft, inwiefern eine Jury überhaupt berechtigt sein kann, das Fehlen von Stimmen als Anfechtungsgrund abzulehnen. Gibt es, ist dann die nächste Frage, keine Satzung, in der das Wahlprozedere und seine Rahmenbedingungen festgelegt sind? Offensichtlich, so die erstaunliche Antwort, nicht.
Zunächst ist also festzuhalten, dass ein Auszählungsfehler, der bei jeder Klassensprecherwahl in deutschen Schulen selbstverständlich zu einer Wiederholung der Abstimmung geführt hätte, beim DCP (bei dem ja auch nur sechsstellige Beträge verhandelt werden und keine peer group affinen Schülerpöstchen) eher als vernachlässigbar angesehen wird. Eines sei dabei aber sehr betont: Es geht, solange nicht erheblich andere Erkenntnisse noch hinzukommen, nicht um Schiebung, es geht nicht darum, dass bei derJury-Sitzung mit einer nennenswerten Wahrscheinlichkeit irgendwelche Ergebnisse passend gemacht worden wären. Für einen solchen Vorwurf gibt es keine ernsthaften Indizien. Jede Unterstellung in dieser Richtung würde den Diskurs nur weiter vergiften und verdecken, worum es bei diesem Eklat eigentlich gehen sollte: Professionalität, Seriösität, Zurechnungsfähigkeit der Branche beim Umgang mit nicht unerheblichen (Steuer-)geldern.
Und ich fürchte, die Branche hat sich da gestern sehr angreifbar gemacht. Der DCP hat sich als korrumpiert herausgestellt, nicht weil gemauschelt wurde, sondern weil demonstriert wurde, dass für Mauscheleien leider ziemlich viel Platz im System ist. Das Abstimmungsprozedere ist da wohl eher nicht die einzige Baustelle (und Ähnliches gilt auch für den DEP, bei dem allerdings keine Preisgelder fließen).
Der amateurhafte Fehler im Abstimmungssystem existiert wohl schon seit Jahren …
Es war auch vielleicht das unglücklichste aller möglichen Jahre, um die amateurhaften Entscheidungsprozesse beim DCP ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Denn natürlich muss sich auch der GAME den Vorwurf gefallen lassen, erst dieses Jahr und NACH der unsauber dokumentierten Abstimmung auf die Angreifbarkeit der Entscheidung in drei Kategorien hingewiesen zu haben, was vor allem deshalb ein Geschmäckle hat, weil Mimimi-Teilhaber Johannes Roth in eben diesem Vorstand sitzt und mit „Shadow Tactics“ ein favorisiertes Pferd im Rennen hatte. Das Abstimmungsprozeder hat sich laut Zeugen in den letzten Jahren nicht geändert. Auch bestätigten mir mehrere Beteiligte die Richtigkeit der Auszählung. Warum, fragt da der Verschwörungs-Theorie erprobte Zyniker, dann jetzt darauf hinweisen!
Antwort: Weil dieser Schritt schon längst überfällig war. Man kann nicht mit den Versäumnissen der Vergangenheit neue Schlampereien entschuldigen. Und sowieso gilt hier genauso wie bei der Abstimmungs-Schlamperei bis zur Erbringung gegenteiliger Beweise die Unschuldsvermutung. Ich persönlich kenne und schätze Johannes seit seiner Studienzeit, und an seiner Integrität kann es für mich ebenso wenig Zweifel geben wie am insgesamt korrekten Abstimmungsergebnis. Er hat die Annahme des Preises nicht verweigert, weil „Shadow Tactics“ nicht den Hauptpreis als bestes Spiel gewonnen hat. Ihm und Dominik Abe, daran habe ich keinen Zweifel, ging und geht es um die Integrität des Preises.
Den Schaden trägt die gesamte Branche.
Der erste und entscheidende Fehler, der zum Eklat gestern abend führte, war eine Abstimmungsprozedur, die man bestenfalls naiv und schlimmerenfalls grob fahrlässig nennen muss. Bei einer Gewinnsumme von 110.000 Euro in der Kategorie „Bestes Spiel“ ist beides inakzeptabel. Es kann nicht sein, dass bei der Abstimmung über so einen Betrag per Hand abgestimmt und dann nicht exakt dokumentiert wird, wie das Ergebnis aussah, und zwar inklusive der sich enthaltenden Stimmen. Es kann nicht sein, dass nicht überprüft wird, ob jeder im Raum eine Stimme abgegeben hat. Und es kann nicht sein, dass die Anzahl der dokumentierten Stimmen hinterher nicht mit der Anzahl der anwesenden Stimmberechtigten übereinstimmt. Solche Patzer begründen juristische Streitfälle, und das letzte, was die Branche braucht, sind juristische Auseinandersetzungen um die Vergabe der Computerpreise.
Ich muss hinzufügen, dass der Deutsche Entwicklerpreis DEP in einigen Kategorien ein ähnlich unterentwickeltes Abstimmungssystem hat, aber da geht es nicht um Geld. Die Organisatoren sollten sich dennoch dringend Gedanken machen.
Was bleibt sind Wunden auf allen Seiten:
Ich habe Einwände gegen Portal Knights als bestes Spiel, die allerdings nichts mit der Abstimmung zu tun haben (übrigens auch nichts mit der Qualität des Spiels). Wenn eine Mehrzahl der Juroren PK als bestes Spiel gesehen hat, dann soll Keen diesen Preis natürlich kriegen. Und zwar ohne Wenn und Aber und ohne auch nur den Schatten eines Verdachts!
Mimimi wird sich mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, lieber einen Eklat zu produzieren als die Niederlage gegen Keen hinzunehmen. Man hängt halt gerne die Überbringer der Nachricht. Einen solchen Vorwurf wird man nie entkräften können, egal wie widerwärtig und ungerecht er ist. Er bleibt hängen, und so kommt zum finanziellen (40.000 € sind ja auch kein Pappenstiel) noch der Rufschaden.
Die Politik lacht sich kaputt über uns – und diesmal hat sie Recht
Der GAME wird ebenfalls unter dem Verdacht stehen, den DCP für eine politische Scharade genutzt zu haben, da können die Einwände – und dies sind vor allem und bei den in Frage stehenden Beträgen juristische – noch so berechtigt sein und die Sorge noch so ehrlich. Auch hier gilt: Ich kenne die meisten Involvierten und habe keinen Grund, ihnen unlautere Absichten zu unterstellen.
Dies alles konnte aber nur passieren, weil unsere Industrie einmal mehr unter Beweis gestellt hat, wie schwer es ihr fällt, professionelle Strukturen einzuziehen, selbst wenn größere Summen im Spiel sind. Es ist nicht zu argumentieren, warum bei einer solchen Wahl Handzeichen reichen sollen, es keine Stimmzettel gibt, keine Gegenprobe gemacht und alles sauber dokumentiert wird. Der Schaden, den die oben genannten und auch der DCP gestern genommen haben, hätte sich leicht durch ein wenig Nachdenken im Vorfeld vermeiden lassen. Es ist meines Erachtens auch ein schwaches Argument zu sagen, dass man die Abstimmung nicht hätte wiederholen können, weil es noch schlimmer gewesen wäre, wenn dann ein anderes Ergebnis herausgekommen wäre. Sitzen in der Jury kleine Kinder oder erwachsene Frauen und Männer?
Die Politik jedenfalls hat abermals einen – und diesmal einen wirklich guten – Grund, unsere Industrie nicht ernst zu nehmen, ihr zu misstrauen und beim nächsten Mal dann wohl sogar die bestehenden, mickrigen Preis- und Fördermittel in Frage zu stellen. Und das alles, weil wir es nicht hinkriegen, eine einfache Abstimmung sauber zu dokumentieren.
Mimimi hatte jedes Recht der Welt, darauf hinzuweisen. Man wird deshalb auf sie einprügeln. Ich bin ihnen dankbar. Und zur selben Zeit respektiere ich das Abstimmungsergebnis, gönne ich Keen von Herzen den Hauptpreis, auch wenn …
Aber das ist, wie gesagt, ein völlig anderes Thema. Vielleicht bei Gelegenheit hier im Blog.
Klug wäre es gewesen den Preis anzunehmen aber dann in der Dankesrede explizit hinzuweisen, wie unglücklich man mit den Umständen der Wahl und damit der „Entwertung“ des Preises sei… – das man das Gefühl habe hier unter viel Scheinwerferlicht und Medienaufmerksamkeit letztlich „nichts“ zu bekommen außer einer Schmerzensgeldzahlung (Abfindung) von 40.000€.
So aber hat Mimimi ihrem Namen offenbar leider Rechnung getragen und genau das getan was nun lang und breit gespottet wird… – auch DAS hilft NICHT weiter.
Klar, dass wir uns als GamesBranche professionalisieren müssen und uns alle Türen dafür offen stehen predige ich seit gut 15 Jahren (oder länger?) aber nun ja… – es stehen halt immer wieder externe (meist internationale) Interessen dagegen und die Aufteilung in zwei Verbände hilft der Sache auch nicht wirklich… – aber das sind nur die 2 Cent eines alten Dinosauriers der sich genauso gerne auch den Sonnenuntergang anschaut wie in unserer Branche verlorene Schlachten auszufechten…