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Storytelling in Games, Teil 2: Erzählen und Spielen II

Diese Reihe an – teilweise sehr umfangreichen – Blogposts erwuchs aus einer Vorlesung, die ich seit 2006 an verschiedenen Hochschulstandorts in Deutschland gehalten habe, und die sich über die Jahre immer weiter entwickelt hat. Mir wurde der Vorschlag unterbreitet, daraus ein Buch zu machen, aber das ist mir, glaube ich, zu viel Heckmeck. Und der einzige, der daran was verdienen würde, wäre wahrscheinlich ohnehin der Verlag.
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Narrative und Story-Elemente im Computerspiel

Vorbemerkung

Wenn wir uns dem Thema Story im Computerspiel nähern, dann stehen wir bald vor dem Problem, dass eine ganze Reihe von Begriffen geklärt und definiert werden müssen. Dies gilt nicht nur für diese Serie von Artikeln, sondern leider auch nach wie vor für viele Menschen, die beruflich mit Storys in Computerspielen zu tun haben. Es herrscht, muss man immer wieder feststellen, eine geradezu babylonische Sprachverwirrung innerhalb der Branche.

Dies liegt nicht daran, dass die Leute, die dort arbeiten, alle ein bisschen dämlich wären (Das Gegenteil ist richtig: Einige der interessantesten und vielseitigsten Menschen, die ich je kennengelernt habe, arbeiten dort), sondern daran, dass Storytelling innerhalb des Computerspiels nach wie vor eine sehr neue Art zu erzählen darstellt – für die überzeugende Begriffe erst gefunden werden müssen.

Ich werde in der Folge Definitionen aufstellen, wie sie mir sinnvoll erscheinen. Ich bitte aber darum, sie nicht als endgültig anzusehen. Sie sollen lediglich innerhalb dieser Serie für Konsistenz sorgen. Ich hoffe zwar, meinen kleinen Beitrag für eine einheitliche Terminologie zu leisten. Sollte aber jemand auf Widersprüche innerhalb meiner Definition stoßen, dann bitte ich, diese zu formulieren. Es kann unserer Angelegenheit nur dienen.

Sehr viele Definitionen – aber durchaus nicht alle – finden sich so schon ähnlich in anderen Texten, beispielsweise Richard Boons Arbeit „Writing for Games“, welche das dritte Kapitel des Buches „Game Writing – Narrative Skills for Videogames“ bildet[1]. Er vernachlässigt zwar die m.E. nach wichtige Unterscheidung zwischen interactive Story und interactive Plot, dennoch ist seine Analyse narrativer Elemente sehr lesenswert.

Story- und narrative Elemente

Die englischen Begriffe narrative und story werden oft austauschbar benutzt – und das ist natürlich falsch und verwirrend, zumindest, wenn es um Computerspiele geht. Im Deutschen haben wir es da einfacher: Die Begriffe narrative Elemente und Story-Elemente sind intuitiv leichter auseinander zu halten. Letzteres meint alle Ereignisse innerhalb der Story, Ersteres die Mittel, mit denen diese Story erzählt wird. Wir haben also:

  • Narrative Elemente (narratives): Mittel und Methoden, mit denen eine Story erzählt wird
  • Story-Elemente (story): Die erzählerischen Ereignisse einer Story

Ein paar praktische Beispiele:

Die Reihenfolge, in der die Story-Elemente erzählt werden, muss nicht ihrer chronologischen Reihung entsprechen. Man kann sie zusammenwürfeln und beispielsweise irgendwo in der Mitte anfangen. Diese Technik ist ein narratives Element, das andere narrative Elemente nutzt: Rückblenden, Vorgriffe des allwissenden Erzählers, nicht chronologisches Verweben paralleler Handlungen etc.

Wenn ich den Held an einer bestimmten Stelle sterben lasse, wo er in einer früheren Version der Story überlebt hat, dann ändere ich ein Story-Element.

Wenn ich an einer Stelle, an welcher der Held in großer Gefahr schwebt, plötzlich den Helden zum Ich-Erzähler mache (was er vorher nicht war), dann ändere ich die Methodik der Erzählung, also ein narratives Element.

Formale und semiotische narrative Elemente

Jetzt wird’s ein bisschen trickreich, aber es ist notwendig, an dieser Stelle noch mal ein wenig zu unterscheiden. Denn es gibt narrative Elemente, welche die Form einer Erzählung betreffen und solche, welche die Semiotik einer Erzählung betreffen. Prinzipiell unterscheiden wir bei den narrativen Elementen also zwischen

  • formalen narrativen Elementen
  • semiotischen narrativen Elementen

Formale narrative Elemente

Wir sollten, bevor wir hier weitermachen, ein paar grundsätzliche Fragen erörtern und herausfinden, was eine interaktive Geschichte überhaupt ist – und aus was sie sich zusammensetzt. Dazu ist es wichtig, jene narrativen Elemente zu identifizieren, welche die Form einer Erzählung betreffen. Dazu müssen wir erst mal die wichtige Frage klären:

Was ist überhaupt eine interaktive Story?

Die Story eines Spiels ist die Abfolge der Ereignisse, die dem Spieler in diesem Spiel begegnen. Anders als im Buch, im Film oder jedem anderen nicht interaktiven Medium, ist es aber bei einem Spiel so, dass die meisten Ereignisse innerhalb der Story durch den Spieler selbst ausgelöst und bewältigt werden.

Die Story innerhalb eines Computerspiels ist also in jedem Fall interaktiv

Dies ist ihr Wesen und kann durch kein noch so schlechtes Game-Design verhindert werden. In dem Augenblick, in dem der Spieler auch nur einmal vor einer entweder/oder Entscheidung gestanden hat, beeinflusst er den Verlauf des Spiels – und damit seine Story. Schon der Wechsel einer Waffe in einem First Person Shooter ist solch eine Entscheidung. In einem Roman der Erzählung stünde jetzt entweder „Gordon Freeman zog dem Alien einen mit der Brechstange über“ oder „Mit dem Elektroshocker setzte Gordon das Alien außer Gefecht!“

Und wenn der Spieler nicht ein einziges Mal in das Spiel eingreifen kann, hört es auf ein Spiel zu sein.

D.h. es kommt, im Gegensatz zu vielen unscharfen Definitionen in der Literatur, für die Definition des Begriffes „interaktive Story“ nicht darauf an:

  • dass man viele verschieden Storypfade hat
  • dass man mehrere verschiedene Enden hat
  • oder die Story sogar vollkommen frei dem Spieler überlässt

Vielmehr ist das Entstehen einer interaktiven Story nur von einer Sache abhängig: Es existiert mindestens ein spielimplizites erzählerisches Ereignis.

Wie heißt das?

Spielimplizite narrative Ereignisse!

Wenn in Tetris ein Brocken vom Himmel fällt, dann ändert sich die Story des Spiels (also ihre potenzielle Nacherzählung als Abfolge aller Spielereignisse) je nachdem, ob es mir gelingt den Brocken sinnvoll unterzubringen oder nicht. Wenn ich in Pacman alle Geister eines Levels gefressen habe, verläuft die Story des Spiels anders, als wenn ich vor ihnen die ganze Zeit nur fliehe.

Aus dieser Art Aktionen sollte sich ein Computerspiel zum allergrößten Teil zusammensetzen. Denn dies ist der Teil, der dem Medium das Adjektiv „interaktiv“ verleiht. Und seltsamerweise wird in den meisten Werken über Storytelling im Computerspiel diesem narrativen Element am wenigsten Aufmerksamkeit geschenkt.

Definition:

Spielimplizite narrative Ereignisse (implicit narrative): Interaktionen von Elementen innerhalb des Spielsystems, die vom Spieler als Story interpretiert werden können und insofern Story aus dem Spielsystem heraus generieren.

Wer erinnert sich an Deutschland gegen Polen bei der WM 2006? Das 1:0 in der letzten Minute der Nachspielzeit? Was für eine Story! Wer hat sie geschrieben? Die Spielregeln! Muss deshalb jedes Fußballspiel genauso spannend sein? Leider nicht. Aber in diesem Fall führten die spielimpliziten narrativen Elemente zu einem Thriller, dessen glückliches Ende eine ganze Nation euphorisierte. Die Story dieses Spiels kann man heute nacherzählen, ohne dass es innerhalb des Spiels eine einzige vorgeskriptete Cutscene, einen vordefinierten Dialog, eine Texteinblendung jenseits des Spielinterfaces gegeben hätte.

Leider aber können wir nicht immer davon ausgehen, dass ausschließlich spielimplizite narrative Ereignisse, sei es nun im Fußball oder einem anderen Spiel, eine derartige Story produzieren. Deshalb gibt es auch:

Nichtimplizite narrative Ereignisse

Wir benötigen also, um eine gute, spannende Story garantieren zu können, weitere Methoden, die weniger spielergesteuert, und damit konsequenterweise auch weniger spielerisch sind. Sie sind also dem Spiel nicht implizit. Die nichtimpliziten narrativen Ereignissen unterteilen sich wiederum in:

  • feststehende narrative Ereignisse
  • Interaktive narrative Ereignisse
  • Interaktiven Plot

Feststehende narrative Ereignisse

Definition

Vorgeskriptete Ereignisse, die vom Spieler als Story interpretiert werden können und an bestimmten Stellen im Spiel sicher auftreten.

Der klassische Fall: Der Spieler hat das Ende eines Levels lebend erreicht und bekommt als Belohnung eine schöne Cutscene präsentiert, die ihm erklärt, was der böse Feind als nächstes ausgeheckt hat.

Je nachdem aber, in welchem Zustand der Spieler diesen Punkt erreicht hat, oder mit welchen Mitteln er diesen Punkt erreicht hat, werden vielleicht unterschiedliche Cutscenes abgespielt. In diesem Fall spricht man von interaktiven narrativen Ereignissen.

Interaktive narrative Ereignisse

Bei einem Rollenspiel mag es einen Unterschied machen, wie eine alte Frau auf mich reagiert, je nachdem, ob ich vorher ihrem Sohn das Leben gerettet oder die Rübe abgehauen habe.

Definition:

Vorgeskriptete Ereignisse, die vom Spieler als Story interpretiert werden können und an bestimmte Aktionen oder Zustände innerhalb des Spielsystems gekoppelt sind.

Ich kann also an einer Stelle eine Cutscene bringen, wenn der Spieler vorher durch Tunnel A gekrochen ist – und einen Bossgegner hinstellen, wenn er durch Tunnel B gekrochen kam. Zwei unterschiedliche technische Methoden – und im Übrigen natürlich auch verschiedene narrative Ereignisse.

Das heißt: Prinzipiell gehören die interaktiven narrativen Elemente zu den feststehenden narrativen Elementen. Sie machen sich aber von bestimmten Zuständen der Simulation an einem bestimmten Punkt des Spiels abhängig, die zu diesem Zeitpunkt auch anders ausfallen können. Frage ich nur ab, ob das Ende des Levels erreicht wurde, brauche ich kein interaktives Ereignis, da bei „nein“ nichts passiert und nur bei „ja“ etwas passiert. Frage ich aber ab, ob der Held dabei mehr als 50% oder weniger an Health übrig hat und zeige abhängigg davon zwei verschiedene Cutscenes, dann habe ich ein interaktives narratives Ereignis erschaffen.

Was natürlich meist aufwändiger ist, woraus wir sehen, dass zusätzliche Interaktivität im nichtimpliziten Bereich schnell eine Budgetfrage werden kann.

Das gilt insbesondere für das letzte der vier formalen narrativen Elemente, den interaktiven Plot!

Interaktiver Plot

Definition

Vorgeskriptete Ereignisse, die es dem Spieler erlauben, durch Aktionen innerhalb des Spielsystems Verlauf und Ausgang der Story an entscheidenden Punkten abzuändern.

Viele Menschen in der Industrie, die sich über Storys in Spielen Gedanken machen, benutzen genau hierfür den Begriff „Interaktive Story“. Ich halte ihn so aber für nicht sauber abgegrenzt und irreführend, da – siehe oben – jedes Spiel eine interaktive Story besitzt. Deshalb hier erst einmal eine klare Abgrenzung zwischen den Begriffen Plot und Story – und den sich daraus ergebenden Konsequenzen, wenn man das Wie-Wort „interaktiv“ davorstellt.

Was unterscheidet Story und Plot?

Eine Story ist die Gesamtheit aller Ereignisse, die zwischen Anfang und Ende der Geschichte geschehen.

Der Plot kommt dagegen vom englischen Wort für „Zeichnung“, und eine solche enthält normalerweise wenige Details und nur die wichtigen Linien. Der Plot ist also nur die Gesamtheit aller wichtigen Entscheidungen, die Einfluss auf den Ausgang der Geschichte haben.

Ob Bilbo bei seiner Geburtstagsfeier den Ring an die linke oder die rechte Hand steckt, wird wenig Einfluss auf das Schicksal des Auenlands haben. Aber wenn er ihn anschließend nicht (mehr oder weniger) freiwillig hergegeben hätte – dann hätte das ganz anders aussehen können. Ersteres gehört zur Story, nicht zum Plot. Letzteres gehört zum Plot. Natürlich gehört alles, was zum Plot gehört, auch zur Story. Bloß eben nicht umgekehrt.

Interaktive Story ist einfacher zu produzieren als interaktiver Plot

Es ist leicht, einen Spieler interaktiven Einfluss auf die Story nehmen zu lassen, solange dies nicht den Plot berührt. Wie viele Gegner man in einem Egoshooter mit welcher Waffe umnietet, ist für den Ausgang der Story ziemlich egal: der Plot bleibt der gleiche. Sobald aber der Plot interaktiv wird, befinden wir uns als Designer eines Computerspiels in Schwierigkeiten.

Denn nun muss für jeden möglichen Plotverlauf sichergestellt sein, dass er

  • als Story überzeugend ist
  • jeder Verlauf komplett produziert wird

Es gibt Spiele, die haben das geschafft. Aber es sind wenige. Ich bin der Meinung, dies liegt nicht daran, weil es beinahe unmöglich ist, sondern weil Story und Spiel beide formal noch nicht genügend verstanden sind.

Wir haben jetzt also einen Überblick über die formalen narrativen Elemente:

  • Implizite narrative Methoden
  • Feststehende narrative Methoden
  • Interaktive narrative Methoden
  • Interaktiver Plot

Bleiben noch die semiotischen narrativen Elemente.

Semiotische narrative Elemente

Mit semiotischen narrativen Elementen sind hierbei die unterschiedlichen Zeichensysteme gemeint, die zur Vermittlung erzählerischen Inhalts genutzt werden können. Als solche gelten:

  • Text
  • Weltinformationen
  • Offscreen-Voiceovers
  • Onscreen-Voiceovers
  • Splashscreens
  • Kamerabenutzung
  • Geskriptete Ereignisse
  • In-Engine Cutscenes
  • FMV Cutscenes

Text

Es gab einmal Computerspiele, die hatten keine Grafik, dafür aber ein Textinterface, hinter dem ein sogenannter Parser auf Eingaben des Spielers wartete. Konnte er mit der Eingabe etwas anfangen, reagierte er dem Design des Spiels entsprechend mit er Ausgabe neuen Textes. Konnte er nichts damit anfangen, sagte er dem Spieler mehr oder weniger deutlich, dass er ihn nicht verstünde.

Die Rede ist natürlich vom guten alten Text-Adventure, einer interaktiven Erzählung, die komplett über das geschriebene Wort funktionierte. Man wagt sich kaum zu weit vor, wenn man behauptet: Diese Art des Computerspiels hat heute am Markt nur noch geringe Chancen.

Überhaupt ist Text, wie ich im vorherigen Teil der Serie ja schon ausgeführt habe, eine semiotische Zeichenebene, die es im heutigen Spiel aus guten Gründen schwer hat: Der reine, geschriebene Text langweilt den Spieler normalerweise, vor allem, wenn er einen Wahrnehmungsspanne beansprucht, die länger als 5 Sekunden dauert.

Dennoch wird es sich in kaum einem Spiel vermeiden lassen, Text unterzubringen, sei es in Form von Interface, Hilfstexten und/oder Tutorialtexten, die nach wie vor nur selten als gesprochenes Wort daher kommen. Der Grund dafür ist, dass das Tutorial meist ganz am Ende einer Spieleentwicklung steht, wenn endlich die Steuerung optimiert, das letzte Feature integriert und garantiert keine Zeit (und auch keine Budget) mehr vorhanden ist, jetzt noch mal ins Tonstudio zu gehen. Es sei denn, man gehört zu den wenigen Entwicklern von AAA-Titeln.

Und wenn man es tut, stellt man wahrscheinlich kurz danach fest, dass man einen entscheidenden Schritt im Tutorial noch mal anders beschreiben muss, weil da eine missverständliche Formulierung hineingerutscht ist. Was den großen Vorteil von geschriebenem Text aufzeigt: Selbst größere Änderungen lassen sich schnell und einigermaßen umstandslos integrieren (wenn man einen funktionierenden Lokalisierungsprozess installiert hat, aber das ist ein anderes Thema).

Prinzipiell liegt man aber nicht falsch, wenn man die Regel aufstellt: Je weniger geschriebener Text, desto besser ist das für die Immersion des Spielers.

Weltinformationen

Definition

Phänomene innerhalb der Spielwelt, die, während der Spieler noch die Kontrolle über die Steuerung hat, durch den von ihnen erzeugten inhaltlichen Zusammenhang allgemeine Informationen über die Spielwelt oder eine bestimmte Spielszene vermitteln.

Weltinformationen sind zum Beispiel:

optische Effekte

Eine doppelte Sonne, verfallene Häuser, dichter Rauch, der aus einem Fenster quillt, beständiger Regen, der sich in öligen Pfützen sammelt: All dies transportiert Informationen für den Spieler, die ihm nicht mehr anderweitig erzählt werden müssen: Du befindest dich nicht auf der Erde, hier wohnt keiner mehr, das Haus brennt etc…

akustische Effekte

Pfeifender Wind, die Schreie nicht sichtbarer Monster, leise, verstohlene Schritte im Nebenzimmer, das Ticken einer Uhr: Informationen, die der Glaubwürdigkeit der Spielwelt ebenso dienen können wie der erzählten Story.

physikalische Effekte

Eine Vase, die herunterfällt, geht kaputt. Eine Vase, die ich meinem Gegner von hinten über den Schädel ziehe, setzt ihn außer Gefecht. Und sie geht natürlich kaputt. Es ist ein beruhigendes Gefühl, wenn Dinge sich so verhalten, wie man es von ihnen erwartet. Es macht die Spielwelt vertrauenswürdiger, berechenbarer, beeinflussbarer. Aber: Wenn eine Vase beim Herunterfallen kaputt geht, dann sollten das alle tun. Konsistenz ist extrem wichtig. Wenn Sie ein physikalisches Weltphänomen aus technischen oder monetären Gründen nicht konsistent halten können, dann verzichten Sie lieber darauf.

Straßen- und Firmenschilder, Artefakte, deren Erhaltungszustand, Sauberkeit, Wetter etc.

Das kleine Firmenschild an dem mysteriösen elektronischen Bauteil, es kommt einem bekannt vor, weil man das Firmenschild schon einmal gesehen hat. Stand die Fabrik nicht im letzten Level herum?

An der Fassade, die von abgerissenen Plakaten nur so überquillt, klebt ein einziges vollständiges Plakat. Und das zeigt den Helden in einem aufgemalten Fadenkreuz.

Der Briefkasten der Nachbarin, der überquillt, was er noch nie getan hat.

Plötzlich tun sich Zusammenhänge auf, die keiner Worte mehr bedürfen.

Offscreen-Voiceovers

Definition

Stimmen, die, während der Spieler noch die Kontrolle über die Steuerung hat, von Charakteren gesprochen werden, die nicht in der Spielszene präsent sind.

Das klassische Beispiel ist das Briefing durch einen weit entfernt in einer Kommandozentrale sitzenden Charakter. Man kann nach wie vor durch die Gegend laufen, das Spiel wird nicht unterbrochen, und dennoch erhält man wichtige Informationen.

Ein mächtiges und gleichzeitig verführerisches narratives Element

Denn einerseits ist es toll, dass man für diese Art der Informationsvermittlung dem Spieler die Steuerung belassen kann. Andererseits kann niemand garantieren, dass der Spieler den gesprochenen Text auch mitkriegt. Sei es, weil er taub ist oder die Lautsprecher ausgeschaltet hat, die Mutter grade zum Essen ruft oder weil er einfach nicht auf den Sprecher achtet, denn momentan feuert er gerade aus allen Rohren.

Man muss also vorsichtig sein, wenn man auf diese Weise Inhalte vermittelt, die für den Spieler kritische Informationen beinhalten.

Man muss auch darauf achten, dass sie nicht in Spielsituationen erscheinen, in denen der Spieler gerade alle Hände voll zu tun und garantiert weder Konzentration noch Lust hat, irgendwelchen Betrachtungen über Gott und die Welt zu lauschen.

Und dennoch sind sie ein wertvolles Mittel, um Hintergrundinformationen und vielleicht sogar Gedanken des Spielercharakters zu vermitteln, Dinge also, die für Detailgrad und Textur der Story wichtig sind. Sie sind außerdem ein gutes Mittel um etwas längere, gegnerfreie Wege innerhalb eines Levels mit interessanten Informationen wie zum Beispiel einem Missionsbriefing zu verkürzen. Nichts ist leichter für ein Programm als zu sehen, ob der Spielercharakter gerade in unmittelbarer Gefahr schwebt oder nicht. Und in diesem Fall kann man dem Spieler durch ein kurzes Offscreen-Voiceover klar machen, dass momentan die Luft rein ist – und die Story vorantreiben.

Stimmen haben gegenüber Text zwei Vorteile

  • Sie können ohne große Leseanstrengung aufgenommen werden
  • Sie vermitteln über die Stimme des Sprechers Charakter, Stimmung und andere Nuancen, die geschriebener Text einfach nicht vermitteln kann

Dennoch gilt: weniger ist mehr. Keiner kann es leiden, wenn zu viel dazwischen gequatscht wird. Timing ist hier essentiell!

Wir fassen also die Vor- und Nachteile von Offscreen-Voice-overs noch einmal zusammen:

Nachteile

  • Keine sichere Informationsvermittlung
  • An falscher Stelle nervende Ablenkung

Vorteile

  • Verhelfen Story zu Textur und Detail
  • An richtiger Stelle interessant und immersiv
  • Keine Leseanstrengung
  • Stimme des Sprechers vermittelt Charakter, Stimmung und andere Nuancen

Onscreen-Voiceovers

Wenn man durch eine gut besetzte Kneipe läuft, wird man auf wenigen Metern zwischen zwei und sieben Gesprächsfetzen mitkriegen. Und bei etwa der Hälfte wird man aufgrund dieser Fetzen wissen, um was es sich bei dem Gespräch dreht.

Man stelle sich das in einem Computerspiel vor: Der Held betritt eine Kneipe und geht zum Tresen. Dabei passiert er mehrere Menschen, die sich unterhalten. Die Ansicht des Spielers wird diese Menschen flüchtig im Blick haben, und er wird sich ihnen zuwenden können.

Es sähe seltsam aus, wenn niemand in der Kneipe sich unterhielte und jeder nur darauf wartete, dass er vom Spieler angesprochen wird.

Für solche Situationen gibt es Onscreen-Voiceovers.

Definition

Stimmen oder Geräusche, die, während der Spieler noch die Kontrolle über die Steuerung hat, von Charakteren gesprochen werden oder Gegenständen verursacht werden, die in der Spielszene präsent sind.

Keine sichere Informationsvermittlung

Da noch weniger als beim Offscreen-Voiceover garantiert werden kann, dass ihre Inhalte wirklich vom Spieler wahrgenommen werden, sollten diese aber lediglich der Hintergrundstimmung der Story dienen und keine kritischen Informationen beinhalten, die der Spieler nicht auch woanders bekommt.

Onscreen-Voiceovers, zu denen ja auch die einfachen SoundFX zählen, können hervorragend mit einem 3D-Soundsystem umgesetzt werden. Sie wirken sich positiv auf die Immersion aus: die Welt wirkt echter, wahrer, lebhafter.

Wir fassen also die Vor- und Nachteile noch einmal zusammen:

Nachteile

  • Keine sichere Informationsvermittlung
  • Relativ aufwändig in der Produktion

Vorteile

  • Verhelfen Story zu Textur und Detail
  • An richtiger Stelle interessant und sehr immersiv
  • Keine Leseanstrengung
  • Stimmen der Sprecher vermitteln Charakter, Stimmung und andere Nuancen

Geskriptete Ereignisse

Ein weiteres, eng mit dem Onscreen-Voiceover verwandtes Element ist das geskriptete Ereignis. Es unterscheidet sich vom Onscreen-Voiceover dadurch, dass es in erster Linie ein grafisches Element ist.

Definition

Ereignisse, die, während der Spieler noch die Kontrolle über die Steuerung hat, in der aktuellen Spielszene geschehen, unabhängig davon, ob der Spieler sie sieht oder nicht.

Keine sichere Informationsvermittlung

Der Spieler betritt eine Kneipe, und in diesem Augenblick fängt irgendwo im hinteren, dunklen Teil des Ladens eine Keilerei an.

Mit Triggern oder in schlauchartigen Leveln kann man eine gewisse erhöhte Wahrscheinlichkeit erzielen, dass der Spieler sie mitkriegt, aber garantieren kann das keiner. Deshalb sollten auch geskriptete Ereignisse lediglich der Hintergrundstimmung der Story dienen und keine kritischen Informationen beinhalten, die der Spieler nicht auch woanders bekommt.

Onscreen-Voicerovers und geskriptete Ereignisse treten sehr häufig gemeinsam auf. Der Einfachheit halber spricht man dann meist nur von geskripteten Ereignissen, produktionstechnisch muss aber beides erledigt werden.

Wir fassen wiederum die Vor- und Nachteile noch einmal zusammen:

Nachteile

  • Keine sichere Informationsvermittlung
  • Können je nachdem sehr aufwändig werden

Vorteile:

  • Verhelfen Story zu Textur und Detail
  • An richtiger Stelle interessant und sehr immersiv
  • Rein optische Wahrnehmung

Splashscreens und Stills

Definition

Ereignisse, die, während der Spieler keine Kontrolle über die Steuerung hat, ein feststehende Bild auf den Monitor projiziert, mit dem erzählerische Inhalte vermittelt werden.

Splashscreens und Stills sind also sozusagen die unterste Stufe jener narrativen Elemente, die einen Eingriff in die Spielersteuerung darstellen. Viele Prügelspiele arbeiten mit solchen Stillpictures, vor deren Hintergrund dann der Übergang von einer Prügelarena in die nächste in eine knapp erzählte Geschichte eingebunden wird.

Aufwändigere Geschichten nutzen solche Splashscreens für Missionbriefings und einen optischen Vorgeschmack auf die Stimmung, die der Spieler im Level erwarten kann. Früher waren solche Splashscreen manchmal auch detaillierte Moodpaintings einer Landschaft, die in Echtzeit-3D dann nicht ganz so knackig dargestellt werden konnte, aber das ist aus offensichtlichen Gründen selten geworden.

Zuweilen werden auch ganze Cutscenes mit Kamerafahrten über solche Splashscreens gestaltet, eventuell inklusive Paralaxing und sehr schlichten Animationen. Dies kann sehr effektvoll sein, wenn es gut gemacht ist. Vor allem aber ist es eins: gut fürs Budget.

Splashscreen werden häufig zusammen mit Text und/oder Offscreen-Voiceover als Ladebildschirme zum Missionbriefing verwendet. Diese Verwendung ist dann in Ordnung, wenn die Texte kurz sind und die Ladezeit nicht überschreiten. Wenn der Ladevorgang abgeschlossen ist, sinkt die Bereitschaft zum Lesen oder Zuhören rapide!

Wir fassen also die Vor- und Nachteile noch einmal zusammen:

Nachteile

  • Wirken oft billig
  • Für größere Zusammenhänge ungeeignet
  • Entreißen dem Spieler die Kontrolle

Vorteile

  • Einigermaßen sichere Informationsvermittlung
  • Keine Ablenkung durch das Spiel
  • Gut fürs Budget

Kamerabenutzung

Definition

Ereignis, das, während der Spieler keine Kontrolle über die Steuerung hat, mit einer kurzen Kamerafahrt erzählerische Inhalte vermittelt.

Eine sehr effektive Form der Vermittlung von Inhalten, für die ansonsten oft Textbriefings benötigt werden, ist es, dem Spieler kurz die Kamerasteuerung zu entreißen und in zwei oder drei kurzen Kameraschwenks die zentralen Elemente und Zielpunkte der nächsten Aufgabe zu zeigen. Man schaue sich diesbezüglich einmal Prince of Persia an.

Damit lassen sich natürlich keine großen erzählerischen Inhalte vermitteln, aber der Spieler wird wesentlich weniger aus seinem Spiel herausgerissen, als wenn ihm eine Briefingtextbox vor die Nase oder eine umständliche verbale Beschreibung der Aufgabe geliefert wird.

Der Held als vermeintlicher Autor der Kamerafahrt

Dies umso mehr, als dass sich der Spieler in dem Augenblick eventuell fragt, von wem diese Hinweise jetzt eigentlich kommen. Kamerafahrten repräsentieren hingegen sozusagen den Blick des Helden, der schnell die zentralen Punkte in einem Level erfasst und aufgrund dieser Informationen selbst den Plan ausarbeitet, wie er das Levelende erreicht.

Eventuell lässt sich mit einem zusätzlichen gesprochenen kurzen Offscreen- oder Onscreen-Voiceover noch eine zusätzliche inhaltliche Ebene schaffen.

Die Kamerabenutzung stellt also eigentlich eine Art Cutscene dar, ist aber so kurz, dass dem Spieler die Unterbrechung der Steuerung kaum auffällt. Es darf sich für ihn nicht lohnen, die Finger von der Maus zu nehmen.

Wir fassen auch hier die Vor- und Nachteile noch einmal zusammen:

Nachteile

  • Für größere Zusammenhänge ungeeignet
  • Entreißen dem Spieler die Kontrolle
  • Müssen kurz sein

Vorteile

  • Einigermaßen sichere Informationsvermittlung
  • Keine Ablenkung durch das Spiel
  • Gut fürs Budget

In-Engine Cutscenes

Definition

Ereignis, das, während der Spieler keine Kontrolle über die Steuerung hat, in Echtzeit eine vorgeskriptete Storysequenz präsentiert.

Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube Blue Bytes Incubation, für das ich 1997 die Projektleitung innehatte, war das erste PC-Spiel mit echten Ingame-Cutscenes. Die Qualität von FMVs war damals noch sehr schlecht – und wir hatten eine für die damalige Zeit ziemlich coole 3D-Engine mit einem brauchbaren Echtzeitanimations-Tool.

In-Engine Cutscenes haben gegenüber der FMV—Cutscene einige vehemente Nachteile und ebenso auch einige vehemente Vorteile. Nicht der geringste Vorteil ist, dass sie sich in der Regel relativ preiswert erstellen lassen. Ein weiterer ist, dass die grafische Vermittlung der Spielwelt konsistent bleibt, ein dritter, dass sich Änderungen an Kameraführung etc. relativ schnell umsetzen lassen. Man definiert nur die Kamera neu und braucht nicht die gesamte Szene neu zu rendern und zu vertonen.

Die Einschränkungen sind vor allem technischer Natur: Es stehen einem weder komplexere Blenden zur Verfügung noch rapide Positionswechsel der Kamera in einen anderen Level bspw. (der müsste erst geladen werden). Einige Special FX sind für heutige 3D-Engines nach wie vor zu aufwändig um sie in Echtzeit zu rendern, und auch die Anzahl der Lichtquellen ist in Echtzeit-3D meist beschränkt, obwohl sich auf diesen Gebieten ständig Atemberaubendes tut und die Gründe für FMV-Szenen immer weniger werden.

Und wie immer Vor- und Nachteile zusammengefasst:

Nachteile:

  • Entreißen dem Spieler die Kontrolle
  • Technische Restriktionen der 3D-Engine
  • Einige filmische Mittel nicht verfügbar

Vorteile:

  • Einigermaßen sichere Informationsvermittlung
  • Flexibilität in der Produktion da Echtzeit-3D

FMV Cutscenes

Definition

Ereignisse, die, während der Spieler keine Kontrolle über die Steuerung hat, einen vorgerenderten Film abspielen.

Mit heutigen Datenraten und Kompressionstechniken sind die früher meist üblichen grafischen Artefakte in solchen Filmen nur noch für Fachleute sichtbar, sie bieten also die denkbar beste Bildqualität.

Dafür sind sie auch das denkbar teuerste semiotische narrative Element. Der Aufwand, den man für solche Szenen betreiben kann, ist nach oben hin buchstäblich unbeschränkt. Es gibt so gut wie keine technischen Restriktionen für die Anzahl der Polygone, dargestellten Charaktere, Animationspfade, Beleuchtungsobjekte, Lichtquellen, egal was. Es gibt nur finanzielle Grenzen.

Und natürlich gibt es die Grenze dessen, was der Spieler bereit ist hinzunehmen.

Denn wenn wir über Cutscenes reden, egal ob In-Engine oder FMV, reden wir über etwas, das eigentlich in einem Spiel nichts verloren hat: Man tut einem Spieler mit ständigen Unterbrechungen des Gameplays, mit mehrminütigen Cutscenes und der dadurch erzwungenen Passivität meist keinen Gefallen.

Eine Cutscene ist als Belohnung für eine längere, erfolgreich durchspielte Strecke gut geeignet. Aber sowohl Länge als auch Aufwand sollten in einem vernünftigen Verhältnis zur gezeigten spielerischen Leistung stehen. Zu viele Cutscenes töten Spielspaß ebenso sehr wie langweiliges Gameplay.

Und ein letztes Mal Vor- und Nachteile zusammengefasst:

Nachteile:

  • Entreißen dem Spieler die Kontrolle
  • Aufwändige und teure Produktion

Vorteile:

  • Einigermaßen sichere Informationsvermittlung
  • Kann höchsten filmischen Ansprüchen genügen
  • Gut eingesetzt eine tolle Spielerbelohnung

Regeln für die Anwendung narrativer Elemente

Hier eine einfache Liste allgemeiner Regeln, die bei der Verwendung von narrativen Elementen zu beachten sind.

  • Implizite narrative Elemente sind allen anderen vorzuziehen
  • Elemente, die dem Spieler die Steuerung belassen, sind Elementen vorzuziehen, die dem Spieler die Steuerung nehmen
  • Intro und Extro dürfen zwei Minuten, wenn unbedingt nötig, überschreiten, aber nie mehr als fünf dauern. Das schaut sich kaum jemand mehr an! Sie können Ihr Budget also besser verwenden!
  • Cutscenes im Spiel dürfen eine Minute nur dann überschreiten, wenn es sich um Höhe- bzw. Wendepunkte der Geschichte handelt.
  • Alle anderen Cutscenes sollten 30 Sekunden nicht überschreiten
  • Timing ist wichtig: nicht-interaktive Elemente nur, wenn der Spieler gerade bereit dazu ist

Und für den Game-Designer gilt: Seinem Schreiber muss man diese Bedingungen von vornherein diktieren. Wer sagt, das sei unmöglich, taugt als Schreiber nichts.

Fortsetzung folgt: Spielstruktur vs. Erzählstruktur


[1] Chris Bateman (Hrsg), Game Writing – Narrative Skills for Videogames, Boston, 2006

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