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Marktzugang, Marktsichtbarkeit und Preisentwicklung

Es scheint einen unauflösbaren Zusammenhang zu geben zwischen den Marktzugangskosten künstlerischer oder kunsthandwerklicher  Produktion – und einem mörderischen Preiskrieg, der einsetzt, sobald die Kosten einen bestimmten Schwellenwert unterschreiten. Dies gilt für jede Form des Kunstwerks, sei es Buch, Bild, Film, Hörspiel/Hörbuch – oder eben das Computerspiel. Sobald die Produktionsmittel demokratisiert, also für den Normalbürger erschwinglich sind, so scheint es, wird der Markt mit Produkten geflutet – und der Wert des einzelnen Produkts fällt, teilweise buchstäblich ins Nichts.

Es ist deshalb eine große Frage, ob die gerade angekündigten radikalen Preissenkungen für Cry Engine und Unreal Engine 4 so ganz ohne Vorbehalt bejubelt werden können. Nicht missverstehen: Natürlich ist es für die Kunstform selbst ein großer Schritt, wenn ein nicht unbedeutender Teil der Entwicklungskosten eines Spiels schlichtweg wegfällt und durch einen Betrag kompensiert werden kann, den auch ein Teenager zur Not aus dem Taschengeld bestreitet. Demokratisierung der Produktionsmittel ist ein immer willkommener Prozess, denn er bedeutet mehr Konkurrenz, mehr Austausch, mehr Lernprozesse und vor allem: viel mehr lebendig werdende Ideen, deren Umsetzung früher an nicht zur Verfügung stehenden Budgets gescheitert wäre.

Aber Demokratisierung der Produktionsmittel bedeutet häufig eben auch: Es wird mehr produziert, als der Markt verkaufen kann – und das bedeutet fallende Preise. Die sind zunächst mal gut für den Kunden, aber wie einem jeder Volkswirtschaftler leicht erklären kann: Auf breiter Front fallende Preise sind das Zerstörerischste, was einem Markt passieren kann. Denn es gibt keinen Grund mehr, heute etwas zu kaufen. Morgen wird alles noch billiger sein.

Billige Produktionsmittel gefährden die Preise…

Sinkende Preise sind seit langem und in vielen, allerdings nicht allen Sub-Märkten der Games-Industrie zu beobachten. Und in einigen dieser Segmente ist deshalb auch schon eine veritable Umsonst-Kultur entstanden, von der sich zu erholen diese Untermärkte kaum mehr stemmen dürften. Dabei bin ich mir gar nicht mal so sicher, dass in diesen Märkten wirklich mehr Spiele angeboten werden, als sie vertragen. Und falls es so ist, so ist noch lange nicht klar, dass wirklich dieses Überangebot alleine für den Preisverfall verantwortlich ist. Warum nämlich brechen – bei doch ansonsten prinzipiell ähnlichen Produktionsbedingungen – die Preise in einigen Märkten ein, während sie in anderen stabil zu bleiben scheinen. Welche Unterschiede gibt es? In der Folge betrachte ich, weil sich hier die Unterschiede und Gefahren wohl am einfachsten zeigen lassen, vor allem den (noch?) relativ preisstabilen Markt für Indies auf Steam und vergleiche ihn gelegentlich mit dem Markt der Mobile Games und hier im Speziellen den des Apple App-Stores. Und ich denke, dass es abseits der klar erkennbaren Unterschiede in den Geschäftsmodellen und der im Steam-Indie-Markt im Schnitt sicher insgesamt deutlich höheren Entwicklungskosten noch einige andere Gründe gibt, warum Steam noch ein funktionierendes Preis-Modell hat – und der App-Store nicht.

Eines vorweg: Niemand wird behaupten, durch den Wegfall der hohen Lizensierungskosten für 3D-Engines (die ja letzten Endes schon seit geraumer Zeit beinahe vollständige Spiele-Entwicklungstools sind) sei nun zu befürchten, dass in den nächsten Jahren eine riesige Schwemme an AAA-Games den klassischen Retailmarkt aufmischen wird. Dieser hat nach wie vor eine hohe Schwelle durch die hohen finanziellen Kosten der eigentlichen Produktion: Zehntausende von Assets, AAA-Präsentation und Spitzentechnologie an allen Fronten kosten immer noch eine gewaltige Menge Geld, selbst, wenn die Werkzeuge so gut wie umsonst sein sollten. Hinzu kommen die erheblichen Veröffentlichungskosten, die nur dieser Markt besitzt: Herstellung physischer Datenträger, Lizenzgebühren für diese, Ankauf von Regalplatz, Distribution etc. Da wird sich wenig tun: Die Kosten des Marktzugangs bleiben hoch – und deshalb wird der Markt weiterhin nur einer Oligopol-artigen Publisherstruktur zur Verfügung stehen, die ihr Preisgefüge erfahrungsgemäß gut zu schützen weiß.

…sind aber nicht der einzige Grund für Preisverfall

Das alles beweist: Demokratisierung der Produktionsmittel ist nicht der einzige Faktor, der zu einem tödlichen race to the bottom führt. Mindestens genauso wichtig sind die beiden großen anderen Komponente beim Marktzugang: die Kosten der Veröffentlichung und danach, mindestens ebenso wichtig, die Sichtbarkeit am Markt. Um es kurz zu fassen: Einer dieser drei Faktoren muss erheblich sein, sonst geht’s in den freien Fall.

Steam, seit Jahren die wichtigste, gut funktionierende Online-Plattform mit einem stabilem Preisniveau oberhalb der Gratiskatastrophe, hat jüngst eine der letzten Hürden, die es vor ähnlichen Zuständen wie im Mobile Markt geschützt hat, demontiert. Die Preisgestaltung wurde letzten Endes vollständig in die Hände der IP-Besitzer gelegt, indem Steam ihnen die Kontrolle über Dauer, Umfang und Prozentsatz ihrer Rabattaktionen erlaubt. Dieser oberflächlich betrachtet sinnvoll erscheinende Schritt – warum sollte man dem Hersteller einer Ware nicht erlauben, den Preis zu bestimmen? – öffnet aber, der Apple App-Store ist hier Exhibit A, vor allem eine Falltüre ins Nichts.

Dies bedeutet noch nicht zwangsläufig, dass Steam jetzt den gleichen Weg gehen muss oder gehen wird. Denn es gibt ja noch die dritte wichtige Komponente: die Marktsichtbarkeit. Hier verschränken sich die Probleme: Einer der einfachsten Wege, sich in einem überfüllten Markt sichtbar zu machen, war traditionell der Preis. Kostenlos ist, von dieser Kategorie aus betrachtet, einfach unschlagbar. Das Problem beginnt, wenn ein zweiter, dritter, hundertster und tausendster es mit derselben Strategie versucht. Denn unter tausenden kostenlosen Spielen ist, wenn der Shop nicht noch andere, wichtige Informationen zur Verfügung stellt, nur noch eines sichtbar: der ökonomische Selbstmord eines Marktes.

Qualität hält die Preise hoch – und ein Verständnis davon,…

Aber Sichtbarkeit hat noch andere Ebenen. Es gibt andere Schalter, auch wenn die im App-Store, soweit überhaupt vorhanden, sträflich unterentwickelt oder nur durch größere Investitionen erreichbar sind (es sei denn, man glaubt wirklich, der Erfolg von Flappy Bird sei genuin gewesen…). Es wird in diesem Zusammenhang spannend zu beobachten, wie Steam im weiteren Verlauf mit Greenlight umgeht. Diese einigermaßen demokratisch organisierte Qualitätskontrolle scheint Valve bislang organisatorisch eher zu überfordern, und Presseberichten im Januar zufolge denkt man wohl über neue Wege nach: Greenlight soll verschwinden, seine Funktionen evolutionär im normalen Steam aufgehen. Die Frage bleibt offen, ob diese weitere Demokratisierung des Marktzugangs, die erwogene Kontrolle über die Mittel der Selbstpromotion, den Beteiligten helfen wird oder nicht.

Valve kann hier exemplarisch für die ganze Branche sehr viel richtig machen – oder auch alles kaputt. Entscheidend dabei werden zwei Fragen:

  1. Bleibt die Qualität eines Spiels weiterhin ein entscheidender Faktor bei der Frage über den Zugang zu Steam?
  2. Kann Steam bei dieser Umstellung weiterhin garantieren, dass die Plattform noch weitere, wichtige, ohne große finanzielle Investitionen zugängliche und nur schwer korrumpierbare (wenn interessieren noch 5-Sterne-Wertungen?) Parameter für Sichtbarkeit liefert als nur den Preis? Kann Valve diesen Punkt vielleicht sogar noch positiv ausbauen?

Es sind diese beiden Fragen, an denen sich das Schicksal Steams entscheiden wird. Qualität war, ist und wird sowieso immer der einzige Marktzugangsfaktor sein, den eine ihr volles Potenzial ausschöpfen wollende Kunstform akzeptieren darf. Dass Geld in der Realität häufig eine viel größere Rolle spielt, ist ein Bug, kein Feature. Demokratisierung des Marktzugangs bedeutet hier auch immer einen nicht zu unterschätzenden Schlag gegen die Korrumpierung der Kunstform.

…was Sichtbarkeit überhaupt ausmacht!

Es muss aber gleichzeitig auch gewährleistet werden, dass diese Qualität sich in ihrer Eigenheit zeigen kann, sonst bleibt sie wirkungslos. Denn was genau ist Qualität in einem Computerspiel? Neben vielen objektiv vorhandenen Maßstäben gibt es unzählbar viele rein subjektive. Zu diesen nur subjektiven zählt der wichtigste Maßstab überhaupt: Spielspaß. Und weil es so viele verschiedene Maßstäbe gibt, muss es auch Möglichkeiten für die Spiele geben, sich in genau den Maßstäben darzustellen, an denen sie sich selbst während der Entwicklung gemessen haben. Es gibt Spiele, die wollen gar nicht gut aussehen. Oder toll klingen. Oder die geilsten Cutscenes haben. Oder was sonst noch so im Allgemeinen als objektives Qualitätsmerkmal genommen wird. All diese Dinge einordnen zu können, ist wichtig! Aber für überraschend viele Gamer sind sie nicht der entscheidende Kaufgrund. (Eine sträflich vernachlässigte öffentliche Diskussion: Wie sähe eine Ästhetik der Spielekritik aus, die sich nicht mehr als reine Verbraucherinformation, sondern als Kulturkritik versteht?)

Und deshalb wäre es für Steam – und jede andere Plattform, die nicht nur ihre Verkaufsmenge sondern auch ihren Verkaufsinhalt ernst nimmt – von großem Vorteil, diese weichen Parameter, nach denen vor allem kleine Spiele entwickelt und gekauft werden, sichtbar zu machen, wo immer das geht. Wenn der Preis nicht mehr das lauteste und grellste (und oft genug einzige) Billboard ist, das der Entwickler anknipsen kann, um sein Spiel zu promoten, dann erst funktioniert der Onlinevertrieb von Spielen (und jedem anderen Medium auf egal welcher Plattform) so, dass er keine Inhalte mehr unterdrückt, wenn sie nur gewisse qualitative Normen erfüllen. Produktionsmittel demokratisieren sich sowieso, heute schneller als gestern und langsamer als morgen. Das tödliche race-to-the-bottom ist aber keine begleitende Notwendigkeit, sondern letzten Endes nur Zeichen eines Verkaufs-Plattform-Betreibers, den seine Ware und seine Herstellungsbedingungen nicht interessiert. Wer dort kauft, unterstützt mit jedem Klick auf „gratis“ die großflächige Verarmung der Entwickler und des durch sie erzeugten kulturellen Raumes.

Ja, Apple. Grad war auch von dir die Rede.

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