G.A.M.E. und BIU haben ihre offizielle Stellungnahme zur feindlichen Übernahme des Kulturguts Computerspiel durch die Abteilung „Netzinfrastruktur und anderes Kriegswichtiges“ des Bundesverteidigungsverkehrsministeriums abgegeben. Diese Stellungnahme hat es zwischen den Zeilen durchaus in sich, und deshalb werde ich im Laufe dieses Blogposts vollständig zitieren, um meine Interpretation der Dinge verständlich machen zu können.
Berlin, 24. März – Die Verbände der Computer- und Videospielbranche in Deutschland, der BIU – Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e. V. und der Bundesverband der Computerspielindustrie (G.A.M.E.), haben die Entscheidung der Bundesregierung, die Zuständigkeit für den Deutschen Computerspielpreis aus dem Bereich der Kulturstaatsministerin herauszulösen und in das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zu verlagern, zur Kenntnis genommen.
Kein, wie es sonst üblich ist, qualifizierendes Adjektiv wie „erfreut“ oder „begeistert begrüßt“. „Zur Kenntnis genommen“ dürfte die Pressemitteilungs-technisch schärfste Waffe geblieben sein, nachdem sich G.A.M.E und BIU offenkundig nicht darauf haben einigen können, der Politik zu sagen, was man klammheimlich wirklich davon hält. Bis zu diesem Satz immerhin hatte ich noch Hoffnung. Aber sie war von kurzer Dauer und trug etwa einen halben Satz weit:
Der Geschäftsführer des BIU Dr. Maximilian Schenk sieht in dem neuen Zuschnitt positive Aspekte und die Chance auf eine Modernisierung des Deutschen Computerspielpreises: „Wir freuen uns den Deutschen Computerspielpreis, gemeinsam mit dem Ministerium und insbesondere der Parlamentarischen Staatssekretärin und Befürworterin des Mediums Dorothee Bär, zu modernisieren. Digitale Spiele sind das neue Massenmedium des 21. Jahrhunderts, dieser gestiegenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung sollte das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur nun auch Ausdruck verleihen.“
Auf gut Deutsch: Sie haben uns ein paar Gründe dafür genannt, die zwar vollkommen hanebüchen sind, wir spielen aber in der Hoffnung mit, dass am Ende die Preisgelder erhöht und die Pressearbeit für den DCP verbessert wird. Habe ich was übersehen?
Man kann in dieser Formulierung jeden einzelnen Brocken Zahnschmelz erkennen, den sich Herr Doktor Schenk weggeknirscht hat, bis er bereit war, die PM abzuzeichnen. Und immerhin versucht er, auf das Ministerium ein wenig Druck aufzubauen, die Bezahlung für den „Schweinedeal“ (wie oft habe ich dieses wunderbare Wort von beinahe verzweifelten Sales-Managern gehört, wenn ihnen mal wieder nichts anderes übrig blieb, als die letzte Verkaufsoption zu ziehen) jetzt aber auch bitte abzuliefern.
Computerspiele fallen nach dieser Entscheidung nun auch in die Zuständigkeit des Ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Damit trägt die Politik dem Umstand Rechnung, dass Computerspieltechnologien sich mittlerweile in vielen Bereichen des täglichen Lebens und anderen Wirtschaftszweigen wiederfinden und sie wichtige Innovationsimpulse geben.
Das ist natürlich so weit hergeholt, dass sich die Argumentation der Sinnhaftigkeit schon wieder von der anderen Seite annähert. Wobei nach dieser Logik dann ja eigentlich das Wirtschaftsministerium zuständig wäre, aber das gehört dem Dicken, und der hat ja schon genug Zuständigkeiten und war außerdem ja schon beim Pop ’ne Lachnummer.
BIU und G.A.M.E. betonen jedoch auch, dass mit der neuen Zuordnung zum BMVI keine Infragestellung der kulturellen Bedeutung digitaler Spiele einhergehen dürfe. Digitale Spiele vereinen auf einzigartige Weise Spitzentechnologie und kulturelle Schaffenskraft. Diese Einzigartigkeit des Medium ist auch unter Federführung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur weiterzuführen, so die zentrale Forderung der Verbände.
Und wen soll das bitte überzeugen? Dies ist – und ich lege Wert darauf, niemanden bei G.A.M.E. und BIU persönlich anzugreifen – für jeden, der das von außen betrachtet nur das hilfloses Gewinsel junger Hunde, die sich noch nicht trauen zu beißen. Wo ist das institutionelle Zeichen der Bundesregierung, dass sie diese kulturelle Bedeutung weiter anerkennt? Nirgends zu sehen. War davon in der Pressemeldung des Verkehrsministerium die Rede? Schauen Sie selber nach, dass ich nichts übersehen habe. Es bleibt also ein Alibi-Gefecht, ein Manöver zur Gesichtswahrung, und jeder der Beteiligten weiß, dass sich die Einstufung des Computerspiels als Kulturgut in Deutschland in den Folgejahren in den Archiven verlieren wird. Was wir jetzt sind: ein Marketing-Vehikel für den lange verschlafenen Ausbau der Netzinfrastruktur. Da steckt natürlich mehr Geld drin, und das von diesen Krumen ein paar vom Tisch fallen und für uns übrig bleiben, darauf scheint der G.A.M.E. tatsächlich zu hoffen:
Der G.A.M.E. Geschäftsführer Thorsten Unger begrüßt die Entscheidung als Indiz für die Erkenntnis innerhalb der Bundesregierung, dass ein starker Computer- und Videospielestandort Deutschland wichtig ist für den gesamten IT-Sektor des Landes. „Mit der Integration von Computerspielen in eines der größten Infrastrukturprojekte der neuen Bundesregierung erfährt unsere Branche eine besondere Hervorhebung.“, kommentierte Unger die Entscheidung und kündigt Gesprächsbereitschaft bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Beitrages zur „digitalen Agenda“ hin zum wichtigsten digitalen Entwicklungsstandorts Europas an.
Die Degradierung zum Schoßhund ist natürlich auch eine Hervorhebung. Irgendwie: „Schütze Arsch! Vortreten! Sie kehren jetzt den Kasernenhof! Mit der Zahnbürste bei herunter gelassener Hose!“ So wird man auch hervorgehoben vor allen anderen. Das Computerspiel wird jetzt dadurch hervorgehoben, dass es als einziges anerkanntes Kulturgut im Verkehrsministerium verwaltet wird – und der G.A.M.E. „begrüßt es“, eine Vokabel, die der BIU, muss ich bemerken, sorgfältig vermied. Orwell liegt breit grinsend in seiner Kiste, weil er mal wieder Recht behalten hat. Man muss nur die Bedeutung von Worten verdrehen, und schon begreift kaum einer mehr den eigentlichen Inhalt des Statements: „Wir werden lieber als Infrastruktur getreten, denn als Kulturgut anerkannt!“
Beide Verbände wollen gemeinsam mit dem Ministerium umgehend auch in die Modernisierung des Deutschen Computerspielpreises einsteigen und zusammen mit dem Ministerium weitere Maßnahmen zur Stärkung des deutschen Standortes erarbeiten.
Ja. Was bleibt ihnen anderes übrig, nachdem sie die Eier nicht hatten, den Damen und Herren Politikern zu sagen, dass sie sich den DCP in den Allerwertesten schieben können. Wer verzichtet schon gerne auf einen lange geplanten Gala-Abend in München? Wie der Kollege Christian Huberts auf Facebook schon scharfsinnig und rechtmäßig feststellte: „Mittlerweile empfinde ich diese Entwicklung schon aus dem Grund als positiv, dass sie die deutsche Kulturpolitik in Bezug auf Computerspiele als das offenlegt, was sie in den vergangenen Jahren zum Löwenanteil sowieso schon war: Kulturindustriepolitik. Die neuen Verantwortlichkeiten sind insofern eine „Chance“, dass der einseitige Fokus auf wirtschaftliche und infrastrukturelle Bedeutung des Mediums nun wieder offensichtlich und damit angreifbar und diskutierbar wird. Der „Mythos Kulturgut“ ist jetzt Gewissheit.“
Nachdem die Verbände also versagt haben (was meiner Einschätzung nach eher an ihren schwachen Strukturen als an mangelnder Integrität ihres Führungspersonals liegt), bleibt die Entscheidung bei uns: Publishern, Entwicklern, Nominierten, der Spielepresse. Wie wichtig ist uns ein Award, der nicht unsere gesamte Arbeit feiert, sondern nur und ausschließlich ihre wirtschaftliche und technische Verwertbarkeit für ein „höheres“ Gut: den Wirtschaftsstandort Deutschland? Sind wir wirklich bereit, die Preiswürdigkeit der Kunstform Spiel unter den Argumentationsvorbehalt der infrastrukturellen Bedeutsamkeit zu stellen?
Das hier geht an die diesjährig Nominierten: Habt Ihr euch dafür beworben? Wollt Ihr, dass Euer Spiel ausgezeichnet wird, weil es als Marketingvehikel für den Wirtschaftsstandort Deutschland tauglich ist? Wenn ja, dann wünsche ich Euch viel Spaß bei der Preisverleihung.